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Zur "Lex USA", die im Juni 2013 im Parlament scheiterte, und zum völkerrechtlichen Verhältnis zwischen der Schweiz und den USA im
Bereich der Amts- und Rechtshilfe (insbesondere im Hinblick auf das voraussichtlich am 1. Januar 2014 in Kraft tretende FATCA-Abkommen) drängen sich
einige Nach- und Vorbemerkungen auf:
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Dass die amerikanische Justiz in Aussicht stellt, Schweizer Banken und Bankmitarbeiter, Treuhänder, Vermögensverwalter und Anwälte
wegen angeb-lichen Verstössen gegen das amerikanische Recht anzuklagen, dagegen wäre an sich nichts einzuwenden. Schlechterdings völkerrechtswidrig sind indessen
die Mittel, mit denen die US-Behörden – unter Umgehung der geltenden Amts- und
Rechtshilfevereinbarungen – an Beweismaterial bei Schweizer Banken gelangen wollen: Aufgrund von
massiven wirtschaftspolitischen Drohungen mit rechtlich unhaltbaren (da absolut unverhältnismässigen)
Zwangsmassnahmen und Pressionen (soge-nanntes "Ausknipsen", d.h. wirtschaftliches Ruinieren von teilweise systemrelevanten Banken sowie Kantonalbanken, die selbst im Falle einer Anklage
in den USA noch unter der Unschuldsvermutung stünden) haben sich die USA auf "bilateralem" (machtpolitisch eher unilateralem) Wege
Sonderrechte ergattert. Dabei haben die USA den schweizerischen Gesetzgeber faktisch genötigt, das
Schweizer Daten-, Bankkunden- und Bankmitarbeiter-Schutzrecht rückwirkend auf den Kopf zu stellen. In seiner Botschaft zur "Lex USA" formuliert der Bundesrat die betreffende Sachlage
(diplomatisch verklausuliert) wie folgt: "Das Department of Justice könnte an einer Bank ein Exempel statuieren wollen. Mit anderen Worten droht der Schweiz, wenn nicht bald eine Lösung
gefunden wird, die Gefahr einer weiteren Eskalation" (BBl 2013, S. 3950). Das Eidgenössische Parlament ist nach intensiven und kontroversen Beratungen Ende Juni 2013 zwar auf die "Lex USA"
nicht eingetreten; das U.S. Department of Justice hält jedoch seine Drohungen derzeit weiterhin aufrecht.
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Der Fall "Lex USA" erinnert fatal an das düstere Kapitel "UBS-Deal", das sich zwischen 2009 und 2010 abspielte: Die
US-Steuerbehörde (IRS) bzw. das US-Justizdepartement hatten im US-Strafver-fahren gegen Verantwortliche der UBS wegen Beihilfe zu Steuerbetrug bzw. Steuerhinterziehung
ein Ultimatum auf 18. Februar 2009 gestellt: Entweder direkte Herausgabe von Kundendaten und Zahlung eines
Strafgeldes von ca. einer Milliarde Schweizer Franken oder Strafanklage gegen die für die schweizerische Volkswirtschaft systemrelevante Grossbank UBS und ihre Verantwortlichen in den
USA – mit allfälligem
Lizenzentzug bzw. Aberkennung ihrer Eigenschaft als "Qualified Intermediary". Von grosser Bedeutung im
Falle einer strafrechtlichen Anklage in den USA sind auch die (indirekten) negativen Auswirkungen eines Ausschlusses der betroffenen Bank vom
Dollar-Clearing-System und US-Wertschriftenhandel, der (statutarischen) Einschränkungen der Geschäftsbeziehungen
zu institutionellen Anlegern sowie des allgemeinen Reputationsschadens.
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Unter diesem massiven wirtschaftpolitischen Druck sahen sich die Schweizer Bankenaufsichtsbehörde FINMA und der Bundesrat zum
sofortigen Handeln gezwungen: Im Februar 2009 erfolgte notrechtlich die Herausgabe
der Daten von ca. 300 UBS-Kunden an die USA (offenbar im Auftrag des Bundesrates und jedenfalls vor
einer gerichtlichen Bewilligung im gesetzlich und völkerrechtlich dafür vorgesehenen Amtshilfe-Verfahren), gestützt auf eine juristisch umstrittene Verfügung
der FINMA. Zwar hatte das Bundesverw3altungsgericht (im Januar 2010) die Verfügung der FINMA noch als
rechtswidrig eingestuft; das Bundesgericht bestätigte (in BGE 137 II 431) jedoch anschliessend die Rechtmässigkeit der Herausgabe durch die FINMA und die damalige notstandsähnliche Zwangslage. Im August 2009
schloss der Bundesrat im Hinblick auf 4'450 weitere Steueramtshilfefälle (für die Steuerperioden 2001-2009, darunter viele reine Hinterziehungsfälle)
einen Staatsvertrag mit den USA ab, der (nach Intervention des Bundesverwaltungsgerichtes) im Jahr 2010 vom Parlement
genehmigt wurde (SR 0.672.933.61, mit Änderungsprotokoll 2010).
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Zum zweiten Mal (nach 2009) stellten die USA die Schweiz im Juni 2013 ("Lex USA") vor die Wahl: Entweder direkte Herausgabe von
Kunden- und Beraterdaten durch diverse Schweizer Banken und Zahlung eines Strafgeldes von (insgesamt) offenbar ca. 10 Milliarden USD (bei mutmasslich nicht mehr als ca. 25 Milliarden USD
von US-Steuerpflichtigen angelegten Geldern) oder Strafanklage gegen die betreffenden Banken,
darunter Kantonalbanken, mit den oben skizzierten dramatischen wirtschaftlichen Folgen.
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An einer rechtsstaatlich stabilen Globallösung der Krise mit einem angeblich befreundeten demokratischen Land (man danke etwa
an die jahrelangen diplomatischen Guten Dienste der Schweiz zugunsten der USA während der Iran-Krise und darüber hinaus) scheint das U.S. Department of Justice wenig interessiert. Praktikable
Lösungen des Fiskalamtshilfestreits mit den USA auf der Basis des geltenden Völkerrechts wären schon seit
Jahren möglich gewesen: Für eine weite Auslegung des geltenden Doppelbesteuerungsabkommens mit den USA
(DBA-USA 1996) mit Einbezug von fortgesetzter und schwerer Steuerhinterziehung spräche neben dem Wortlaut ("tax fraud and alike") auch die Rechtshilfe-Praxis des Bundesgerichtes, welches den
Arglistbegriff (im Sinne des VStrR) ziemlich extensiv ausgelegt hat. Die Amtshilfe-Praxis des Bundesverwaltungsgerichtes lässt rückwirkende
Gruppenanfragen der USA nach DBA-USA (auch im Sinne von Art. 1 Abs. 2 VO-StAhiG) grundsätzlich zu. Das
Aenderungsprotokoll (2009) zum DBA-USA, welches die Amtshilfe ausdrücklich
auf Steuerhinterziehung ausdehnt (und Gruppenanfragen weiterhin zulässt), wird
im US-Kongress aus fiskalpolitischen und verhandlungstaktischen Gründen seit Jahren blockiert. Dabei
dürften namentlich die Aussichten auf einen 10 Milliarden Dollar-Deal mit diversen Schweizer Banken (gestützt auf eine Schweizer "Lex USA") eine Rolle gespielt haben sowie
verzögerungs-taktische Ueberlegungen zur Durchsetzung des FATCA-Abkommens mit
der Schweiz (Referendumsfrist läuft).
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In der "Tradition" einer ungenierten "extraterri-torialen" Anwendung des US-Rechts auf
Ausland-sachverhalte verlangt der FATCA (Foreign Account Tax Compliance Act) grundsätzlich, dass auslän-dische
Finanzintermediäre gegenüber dem IRS sämtliche Konten von in den USA steuerpflichtigen Personen identifizieren und melden bzw. (alternativ) für die USA Steuern
einziehen. Die Schweiz hat das "Modell II" gewählt. Danach
erfolgt der Informa-tionsfluss direkt zwischen den Finanzintermediären und dem IRS, soweit die Kunden eine entsprechende Zustimmung erklärt haben. Bei Konten ohne
eine solche Zustimmung kann eine (erleichterte) Amtshilfe mittels Gruppenanfrage erfolgen. Die Finanzinter-mediäre müssen (zur Unterstützung der Gruppen-anfrage)
jedenfalls statistische Daten liefern über die Anzahl und das darauf liegende Gesamtvermögen der Konten. Die Schweiz hat am 14. Februar 2013 mit den USA ein
entsprechendes Abkommen geschlossen sowie ein Gesetz zur Umsetzung des FATCA-Abkommens
erlassen. Das Inkrafttreten ist (nach Ablauf der Referendumsfristen) auf den 1. Januar 2014 vorgesehen. Da es
kaum noch Banken geben wird, die US-Kunden dulden, welche keine Verzichtserklärung unterschreiben, dürfte das FATCA-Abkommen die Amtshilfe mit den USA wohl faktisch
ablösen.
©
2. Juli 2013 / Prof. Dr. Marc Forster
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